Die Blätter der Linden erfahren eine allmähliche Rotverschiebung, die Sitze des Hörsaals knarzen unter dem Gewicht der vielen Neuankömmlinge, das periodische Klickern der Kulis zeugt vom wahnwitzigen Übermaß an Motivation in der Fakultät – es wird Zeit für die Erstifahrt!
Alljährlich veranstaltet der großartige FSR ein Spektakel namens Erstifahrt, bei dem aus dem reichlich vorhandenen Rohstoff „Erstis“ in einem famosen Prozess ein halbwegs brauchbares, studienfähiges Produkt entsteht. Die Synthese benötigt einiges an Planung und Organisation, doch konnte man sich auch dieses Jahr wieder auf ein langjährig erprobtes Rezept stützen:
Man nehme 50 junge, willige und (wissens-)durstige Erstis
frisch aus dem Vorpraktikum, vermenge sie zunächst mit ca. 170 L Ethanol und 200 kg Gepäck, überführe diese Lösung in drei Wagons der Deutschen Bahn und schüttle gut durch (Achtung Gasbildung!).
Nach zwei Stunden wird diese feuchtfröhliche Bande erstmal auf 15 km Landstraße getrocknet und dann luftdicht in eine gottverlassene Jugendherberge mitten im Nirgendwo (ich glaub, man hat um Limbach wieder Wölfe gesehen…) verschlossen. Nun extrahiert man noch die Geschlechtertrennung der Zimmer und voilà – man erhält ein äußerst instabiles Zwischenprodukt.
Zunächst hat man versucht dem Zerfall durch besondere Randbedingungen (eine warme, leckere Mahlzeit, lustige Spielchen, spannende Quizrunden) und niederfrequente informative Beschallung (Vorstellung von FSR, Elferrat und Destille sowie einen Interessanten Einblick in die Arbeit eines Theoretischen Chemikers durch Prof. Dr. Heine) entgegenzuwirken, doch unvorhersehbare Radikale in Form der stetigen Aufnahme von Ethanol aus der Umgebung starteten eine Kettenreaktion, die nur schwer zu stoppen war. Erst nach einer kompletten Nacht, in der viel Energie in Form von schallendem Gelächter, rasanten Trinkspielen und feiern dem Gesindel frei wurde, erreichte die Mischung einen thermodynamisch günstigen und stabilen Zustand, welcher mehr oder weniger bis zum nächsten Abend Bestand haben sollte. Die großartigen FSRler nutzten die Gunst der frühen Stunde und bereiteten den Transport der ausgelaugten Masse zur Talsperre Pöhl vor. Dabei wurde auf einen altbekannten Katalysator gesetzt, um die relativ hohe Aktivierungsbarriere (veraltet: „Kater“) zu senken: ein reichhaltiges Frühstück mit starkem Kaffee. Einmal in Gang gebracht, stellte sich die Meute als überraschend gefügig, gar motiviert heraus. Zwar war die eine oder andere Spezies noch immer etwas kinetisch gehemmt, doch spannende Rätsel in traumhaft nativer Umgebung und eingängige Melodien bekannter Hymnen wirkten Wunder.

Nach einigen Stunden des holprigen, langen Transportes, erreichte die Schar das langersehnte Ziel, und das atemberaubende Panorama und das Gefühl der verrichteten Arbeit ließ so manchen sogar einen Quantensprung vollführen. Doch so schön dieser Anblick auch war, der angeregte Zustand war nur von kurzer Dauer: Die Rückweg war mühselig und unverhoffte Nebenreaktionen in Form von falsch genommenen Abzweigungen bahnten den Weg in einen erneut metastabilen Zustand. Die Frustrationstoleranz sank und das endliche Spaßpotential ließ die Erstis in den klassisch-, forstwirtschaftlich-verbotenen Bereich eindringen: Sie tunnelten maßlos Feld und Wald, hüpften über Stock und Stein, doch das Risiko lohnte sich. Die gesammelten Erfahrungen, gemeinsamen Erlebnisse und lustigen Gespräche
hatten schon jetzt einen Rohklumpen an studienreifen Anwärtern geschaffen, den es jetzt zu reinigen und zu polieren galt. Der kommende Abend sollte sich als nahezu perfekt geeignet herausstellen. Die kollektive Zubereitung eines rustikalen Abendmahls (Chili con Carne), der gemeinsame Konsum von Spirituosen, Shisha & Co. sowie eine gemütliche Zusammenkunft am tollen Lagerfeuer waren allesamt Verfahrensprozesse, die den Zusammenhalt noch weiter verstärkten und die Stunden – ganz nach Einstein – wie im Flug vergehen ließen.
Nachdem in letzter Anstrengung Hab und Gut wieder zusammengepackt und die Auswirkungen für Umwelt und Natur beseitigt worden waren, kam die Synthese am nächsten Morgen langsam zu ihrem Ende und die Ausbeute konnte sich sehen lassen: Ein homogenisierter Haufen erschöpfter Erstis, welche nach diesen intensiven 48 Stunden sich nicht nur selbst, sondern vor allem ihre nächsten Nachbarn in dem neu gebildeten Gitter namens Matrikel besser kennengelernt haben. Und wer weiß, für welche großen Bekanntschaften dieses Produkt einst Rohstoff gewesen sein wird.